Junta-Unterstützer auf einer von der malischen Regierung organisierten Kundgebung schwenken Fahnen von Mali, Niger und Burkina Faso.

Lage nach Bundeswehr-Abzug Malis Bevölkerung "zwischen Hammer und Amboss"

Stand: 11.04.2024 10:49 Uhr

In Mali scheint sich die Befürchtung zu bestätigen, dass die Instabilität nach dem Abzug der UN-Mission noch größer wird. Ist Mali auf dem Weg zu einem gescheiterten Staat?

Von Kai Küstner, NDR, ARD-Studio Rabat

Schon während die Bundeswehr in Mali vergangenes Jahr ihre Container packte, mehrten sich die Vorboten für eine deutlich verschlechterte Sicherheitslage: Die Zahl der Anschläge, die Intensität der Kämpfe zwischen malischer Armee und Terrormilizen nahm massiv zu.

Nun, da die Deutschen und die UN-Blauhelme nicht mehr da sind, scheinen sich alle unheilvollen Vorhersagen, die Konfliktparteien könnten mit ungehinderter Wucht aufeinanderprallen, zu bestätigen: "Wir haben hier wirklich Angst", gesteht Mohamed Camara aus der Region Ségou im Zentrum Malis. "Wir haben Angst vor den Terroristen und vor den Kämpfen mit der malischen Armee."

UN-Experte: Regierung entgleitet Kontrolle

Und glaubt man Experten wie Alioune Tine, dann hat der 40-jährige Lehrer auch allen Grund dazu, sich zu fürchten. Ende März stellte der Analyst, der seit Jahren im Auftrag der Vereinten Nationen die Lage im Land beobachtet und bewertet, bei der UN in Genf seinen aktuellen Bericht vor.

Darin berichtet er von einer "raschen und anhaltenden Verschlechterung der Sicherheitslage in fast allen Regionen Malis". Und von Gebieten, die "der Kontrolle der malischen Behörden zu entgleiten" scheinen. Die Leidtragenden seien die Zivilisten, die wie "zwischen Hammer und Amboss eingeklemmt" seien, so der unabhängige Experte.

Das kann die Studentin Kadidia Aldjoubarkoye, die im Norden des Landes in der Region Timbuktu lebt, nur bestätigen: Sie berichtet davon, dass hier die Terroristen die Zahl ihrer Anschläge verstärken und es zunehmend Zusammenstöße der Extremisten mit der Armee gebe: "Das erzeugt ein Klima der Unsicherheit in der Region." Und auch der 33-jährige Ankoundja Tembelli aus Bankass in Zentralmali klagt: "Hier bei uns ist die Gefahr sehr hoch. Wir können noch nicht einmal in unsere Dörfer gelangen."

Blauhelme als Puffer

All das ist eine Entwicklung, die sich schon abzeichnete, als die Blauhelme, darunter zeitweise bis zu 1.200 Deutsche, das Land verließen. Einer schleichenden Ausbreitung der Terrorgruppen hatten auch sie nichts entgegensetzen können.

Doch hatten die ausländischen Truppen hier und da Inseln der Stabilität geschaffen und wie ein Puffer gewirkt zwischen dem, was UN-Experte Tine "Hammer und Amboss" nennt: zwischen malischen Regierungstruppen und ihren russischen Verbündeten auf der einen sowie Terrormilizen von IS oder Al-Kaida und Tuareg-Separatisten auf der anderen Seite.

Wachsender Einfluss russischer Söldner

Bei ihrem Kampf gegen die sich ausbreitenden Terrorgruppen setzt die malische Armee seit einiger Zeit auf russische Söldner der ehemaligen Gruppe "Wagner" - was auch einer der Gründe dafür war, dass sich der Westen und die durch Putsch an die Macht gelangte Regierung voneinander entfremdet hatten.

Die russischen Söldner hatten den malischen Truppen zweifelsohne zu einem ihrer größten Prestige-Erfolge der vergangenen Monate verholfen: die Eroberung der strategisch wichtigen Stadt Kidal im Norden des Landes. Worauf auch nicht ohne Stolz der politische Beobachter und Sachbuchautor Ali Ndiya aus Mali verweist: "Kidal ist eine Stadt, die seit zwölf Jahren nicht unter Kontrolle der Regierung war."

Bei Ndiya ist deutlich herauszuhören, dass er den Blauhelmen der Vereinten Nationen kaum eine Träne nachweint. Weil sich die Tuareg-Separatisten aus Kidal zurückzogen, hat dies zumindest in dieser Region für ein vorübergehendes Abflauen der Kämpfe geführt. 

Menschenrechtsverletzungen nehmen zu

Nun beklagt aber UN-Experte Tine in seinem aktuellen Report auch eine beunruhigende Zunahme von Menschenrechtsverletzungen - vor allem von Seiten der Terroristen, aber nicht nur. Und die Organisation Human Rights Watch berichtet, dass Mitte Februar - und das sind nur zwei Beispiele - die malische Armee bei Drohnenangriffen auf eine Hochzeitsfeier und eine Trauerfeier mindestens 14 Zivilisten, darunter auch Kinder, getötet habe.

Nach Angaben von Human Rights Watch leisten bei solcherlei Angriffen auch die russischen Söldner oft einen fatalen Beitrag: Sie unterstützen regelmäßig bei Drohnenangriffen und sollen auch an Exekutionen von Zivilisten beteiligt gewesen sein.

Buchautor Ndiya hat bezüglich dieser Vorwürfe eine etwas andere Sicht: "Was wir als Malier vor allem wollen, ist die Integrität unseres Staatsgebietes. Man kann kein Omelette herstellen, ohne Eier zu zerschlagen."

Und auch die malische Militärregierungen weist die im UN-Bericht erhobenen Bedenken als "nicht verifiziert und übertrieben alarmistisch" zurück. Nun wird es nach dem Abzug von Bundeswehr und den anderen Blauhelmen angesichts des Schrumpfens sicherer Räume immer schwerer, die Einhaltung von Menschenrechten unabhängig zu überwachen.

Die Sorgen nehmen zu

In westlichen Sicherheitskreisen traut jedenfalls kaum einer den vermutlich aus 20.000 bis 30.000 Mann bestehenden malischen Streitkräften zu, die Terrorgruppen dauerhaft in Schach zu halten und langfristig für Frieden im Land zu sorgen. Auch dann nicht, wenn die Sicherheitskräfte sich von Russland helfen lassen.

Schon kurz nach Abzug der Bundeswehr kursierten Fotos, auf denen russische Söldner eine Goldmine im nordmalischen Gao in Besitz nahmen. Also genau da, wo die Deutschen jahrelang für Sicherheit zu sorgen suchten.

Ob sich aber das malisch-russische Tauschgeschäft - Geld und Bodenschätze gegen Hilfe - beim Anti-Terrorkampf für den Sahel-Staat auszahlt, ist zweifelhaft. Nach wie vor ist die Gefahr nicht gebannt, dass Mali nach dem Rückzug des Westens zu einem "gescheiterten Staat", einem "failed state" wird.

Kai Küstner, ARD Rabat, tagesschau, 11.04.2024 00:14 Uhr