Spielerinnen von Al Ittihad jubeln bei einem Spiel in Jeddah (Saudi-Arabien).
weltspiegel

Frauenfußball in Saudi-Arabien Etwas mehr Spielraum

Stand: 21.04.2024 05:48 Uhr

Bis vor kurzem galt für Frauen in Saudi-Arabien noch ein Stadionverbot. Mittlerweile wird Frauenfußball gefördert, es gibt eine Liga und die Frauen-WM soll ins Land geholt werden. Doch Gleichberechtigung gibt es deshalb noch lange nicht.

Ein knallroter Fußball, eine grüne Wiese und eine Frau mit schwarzem Haar, das sie offen trägt. Sie jongliert den Ball in einem öffentlichen Park in Saudi-Arabien. Es ist eine Szene, die jahrelang unvorstellbar war im erzkonservativen Land und die auch heute noch nicht alltäglich ist.

Die Frau, die sich traut, im Strandpark von Dammam den Ball zu jonglieren, heißt Saja Kamal. Schnell hat sie Zuschauer: drei saudische Männer schlendern vorbei, mit verdutzten Mienen. So etwas scheinen sie noch nie gesehen zu haben. Kamal spielt ein paar Minuten, dann packt die 34-Jährige ihre Sachen. So ganz wohl ist ihr dann doch nicht bei den vielen Blicken: "Ich bin ein bisschen nervös, es ist das erste Mal, dass ich auf einem öffentlichen Platz spiele. Aber es ist auch ein schönes Gefühl."

Frauenfußball in Saudi-Arabien gewinnt an Akzeptanz - zumindest etwas

Ramin Sina, ARD Kairo, Weltspiegel, 21.04.2024 18:30 Uhr

Frauen nun in Stadien erlaubt

Kamal liebt Fußball seit der Kindheit, erzählt sie. Als junges Mädchen habe sie mit ihren Brüdern und Cousins im Hof gespielt und schon früh dem erfolgreichsten Klub des Landes, Al-Hilal, die Daumen gedrückt. Stadionbesuche waren für saudische Frauen lange verboten, dennoch schaffte es Kamal als Mädchen auf die Tribüne - als Junge verkleidet im blauen Outfit von Al-Hilal.

Mittlerweile kann sie sich einfach eine Karte kaufen und als Frau ins Stadion gehen. "Manchmal kann ich es gar nicht glauben, was in meinem Land gerade passiert", sagt sie. "Dann muss ich mich kneifen und mir sagen: Das passiert gerade wirklich. Frauen sind im Fernsehen und spielen Fußball. Alles offiziell."

Etwas mehr Rechte für Frauen

Saudi-Arabien erlebt einen Fußballhype - für Frauen und Männer. Im ganzen Land hängen Plakate der männlichen Superstars Cristiano Ronaldo, Karim Benzema und Neymar, die im vergangenen Jahr für astronomische Gehälter an den Golf gewechselt sind. Sie sollen helfen, die Männerliga zu einer Topliga der Welt aufzubauen.

Und auch die Frauen erleben einen fußballerischen Aufschwung. Seit zwei Jahren gibt es eine Nationalmannschaft für Frauen, eine landesweite Frauenliga, Spiele werden live übertragen, Frauen besetzen hohe Posten im saudischen Fußballverband.

Lamia Bahaian, die Vizepräsidentin des Verbandes, schaut sich das Derby von Dschidda, Al-Ahly gegen Al-Ittihad, von der Seitenlinie an. Sie spricht von einem Traum, der wahr geworden sei: "Die Mädels auf dem Platz sind Pionierinnen, sie haben einen so langen Weg hinter sich. Wir sind sehr stolz auf sie." Sie spüre das Vertrauen der Staatsführung, meint Bahaian.

Hinter Bahaian hängt ein großes Bild des saudischen Kronprinzen. Mohammed Bin Salman ist omnipräsent in Saudi-Arabien, er ist der wichtigste Entscheidungsträger. Als Herrscher ist er reformwillig und brutal zugleich. Seit er das Sagen im Land hat, haben Frauen etwas mehr Spielraum. Seit 2018 dürfen sie Auto fahren, die Pflicht, ein Kopftuch zu tragen, wurde abgeschafft.

Von Gleichberechtigung weit entfernt

Von Gleichberechtigung ist das Land aber weit entfernt. Noch immer entscheidet oft ein männlicher Vormund, was eine saudische Frau tun darf und was nicht. Reformen bleiben widersprüchlich, Aktivistinnen für Frauenrechte werden weggesperrt. Es gibt Berichte über Folter.

Wer es wagt, Kritik zu üben, lebt gefährlich. Kritische Stimmen sind fast nur im Ausland zu hören. Lina Al-Hathloul lebt seit Jahren im Exil. Nur dort könne sie sich frei äußern, sagt sie. Den Fußballhype in ihrem Land sieht die saudische Frauenrechtsaktivistin mit gemischten Gefühlen.

Sie freue sich für ihre fußballbegeisterten Landsleute, sagt sie. Aber Fußballer, die keine Missstände ansprechen, ließen sich als Propagandamittel des saudischen Regimes ausnutzen: "Wenn sie ruhig bleiben, akzeptieren sie, die saudische Regierung zu repräsentieren. Und sie alle schauen weg, wenn es um die Unterdrückung in Saudi-Arabien geht. Keiner will wissen, was wirklich passiert."

FIFA und Saudi-Arabien - Partner auf Jahre

Längst tummeln sich auch die Mächtigsten des Weltfußballs regelmäßig in Saudi-Arabien. Der Präsident des Weltfußballverbands FIFA, Gianni Infantino, schaute sich im Dezember ebenfalls ein Frauenspiel in Dschidda an. Die Geschichte der saudischen Fußballerinnen passt gut ins Narrativ der FIFA. Fußball als Entwicklungshilfe für Fortschritt und Freiheit.

Infantino und Bin Salman, die FIFA und Saudi-Arabien, da haben sich zwei gefunden - Partner wohl für mindestens das kommende Jahrzehnt. Der saudische Ölkonzern Aramco soll Großsponsor der FIFA werden, die Vergabe der Männer-WM 2034 nach Saudi-Arabien gilt als sicher. Und, so lässt Vizeverbandspräsidentin Bahaian am Rande des Frauenspiels in Dschidda durchblicken: Saudi-Arabien scheint auch eine Bewerbung für die Austragung der Frauen-WM 2035 in Betracht zu ziehen.

Unvorstellbar sei das noch vor wenigen Jahren gewesen, sagt Saja Kamal im Strandpark von Dammam. Aber es komme zu spät, sie sei nun zu alt, um es noch in die Nationalmannschaft zu schaffen, scherzt sie. Mit ihrem knallroten Fußball auf der Wiese etwas kicken, das will sie sich in Zukunft aber noch viel öfter trauen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der Weltspiegel am 21. April 2024 um 18:30 Uhr.