Ein Boot mit Migranten auf dem Ärmelkanal
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Britisches Abschiebegesetz Was hinter dem Ruanda-Deal steckt

Stand: 23.04.2024 13:23 Uhr

Künftig sollen Migranten, die illegal im Vereinigten Königreich ankommen, nach Ruanda abgeschoben werden können. Fragen und Antworten zu den Asylplänen der Regierung in London.

Von Peter Mücke

Wer soll künftig abgeschoben werden?

Die britische Regierung will alle Menschen, die ohne die notwendigen Papiere ins Land kommen, grundsätzlich nach Ruanda abschieben - und zwar egal, wo sie herkommen. Sie sollen dann in dem afrikanischen Land einen Asylantrag stellen. Bei einem Erfolg sollen sie in Ruanda bleiben können. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist nicht vorgesehen.

Warum machen die Briten das?

Mit dem Slogan "Stop the Boats" hat der britische Premierminister Rishi Sunak von der konservativen Partei einen harten Kurs in der Migrationspolitik versprochen. Im vergangenen Jahr sind knapp 30.000 Menschen mit Booten über den Ärmelkanal gekommen. In diesem Jahr waren es mit 4.600 bis Ende März so viele, wie noch nie in einem ersten Quartal.

Die Regierung verteidigt die Ruanda-Pläne als wichtiges Mittel, um Grenzen zu schützen und Migranten vor der gefährlichen Überfahrt abzuhalten. Die konservativen Politiker erhoffen sich von dem scharfen Kurs aber vor allem mehr Zuspruch bei den Unterhauswahlen, die noch in diesem Jahr abgehalten werden sollen.

Abschiebung nach Ruanda ohne Asylverfahren

Valerie Krall, ARD London, tagesthemen, 23.04.2024 22:15 Uhr

Was zahlt Großbritannien dafür an Ruanda?

Nach Einschätzung des Rechnungshofs in London zahlt die Regierung bis zu einer halbe Milliarde Pfund an Ruanda - umgerechnet etwa 584 Millionen Euro. Dazu könnten dann noch einmal Hunderttausende Pfund pro Asylbewerber kommen.

Gibt es Kritik an den Regierungsplänen?

Die hohen Kosten sind ein Kritikpunkt der Gegner des Abkommens. Vor allem aber gibt es Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorhabens. Der Oberste Gerichtshof in London hatte die Pläne für rechtswidrig erklärt. Die Richter haben Zweifel, ob die Menschen in Ruanda ein faires Asylverfahren bekommen. Premierminister Sunak hat sich mit dem Gesetz aber darüber hinweggesetzt und Ruanda zum sicheren Drittstaat erklärt. Damit sollen Einsprüche vor britischen Gerichten verhindert werden.

Wie ist die Menschenrechtslage in Ruanda?

Menschenrechtsorganisationen werfen Ruandas Präsidenten Paul Kagame, der seit 24 Jahren das Land regiert, vor, Regimegegner zu verfolgen und die Meinungsfreiheit zu unterdrücken. Das UN-Flüchtlingshilfswerk berichtet über außergerichtliche Hinrichtungen, Folter und Todesfälle in der Haft.

Außerdem gibt es Kritik an einer hohen Ablehungsquote von Asylanträgen aus Konfliktgebieten wie Syrien. Der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, warnt vor einem Ansehensverlust Großbritanniens in der Welt, wenn man nur manche Vorgaben des Völkerrechts berücksichtige.

Was verspricht sich Ruanda von dem Abkommen?

Die autoritäre Führung in Kigali erhofft sich, das Image Ruandas im Westen aufpolieren zu können, auch, um von der Menschenrechtslage im Land abzulenken. Auch die Zahlungen aus London sind ein Motiv.

Ein Abkommen mit Großbritannien gibt es bereits. Ruanda erklärt sich darin bereit, abgeschobene Geflüchtete aufzunehmen. Die Briten zahlen im Gegenzug insgesamt umgerechnet mehrere hundert Millionen Euro.

Wann sollen die Abschiebeflüge beginnen?

Premier Sunak hatte gehofft, dass noch im Frühjahr erste Abschiebeflüge nach Ruanda abheben können. Jetzt spricht er von zehn bis zwölf Wochen Vorlauf. Nach Sunaks Angaben gibt es bereits einen Vertrag mit einer kommerziellen Fluggesellschaft und ein Abkommen mit einem Flughafen. Laut britischen Medienberichten gibt es auch Überlegungen, Asylsuchende bereits früher mit regulären Flügen nach Ruanda zu bringen.

Wird der Plan der Regierungspartei aufgehen, Stimmen zu gewinnen?

Grundsätzlich ist die Abstimmung im Parlament ein Erfolg für Premierminister Sunak. Allerdings liegt seine konservative Partei in Umfragen deutlich hinter der oppositionellen Labour-Partei. Viel wird davon abhängen, ob es mit dem Ruanda-Abkommen tatsächlich gelingt, die Zahl der Migranten, die über den Ärmelkanal kommen, dauerhaft einzudämmen.

Ist das schon das letzte Wort?

Auch wenn die Regierung versucht, Gerichtsprozesse zu vermeiden, indem es Ruanda zu einem sicheren Drittstaat erklärt, könnte es doch sein, dass Gerichte angerufen werden, um Abschiebungen zu stoppen. Sobald Migranten darüber informiert werden, dass sie nach Ruanda deportiert werden sollen, können sie einen gerichtlichen Einspruch beantragen. Das würde eine Abschiebung zumindest hinauszögern.

Sollten sich die britischen Gerichte der Vorgabe beugen, dass Ruanda ein sicherer Drittstaat ist, könnten die betroffenen Migranten den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen - der hat schon einmal einen Abschiebeflug gestoppt. Die britische Regierung will sich mit dem neuen Gesetz zwar darüber hinwegsetzen können, aber ob sie das darf, ist umstritten. Viele Juristen halten das für den Bruch internationalen Rechts. Im äußersten Fall könnte das bedeuten, dass die britische Regierung bereits abgeschobene Migranten aus Ruanda wieder zurückholen muss.

Ruud Koopmans, Migrationsforscher Wissenschaftszentrum Berlin, zum britischen Ruanda-Plan

tagesthemen, 23.04.2024 22:15 Uhr